Brief an Titos Kakadu

Brief an Titos Kakadu Koki

Hallo Koki, dobar dan! Du bist das Skurrilste, was mir seit langem begegnet ist – Titos Kakadu! Als ich mit dir sprach, bekam ich trotz der hochsommerlichen Hitze eine Gänsehaut. Ein Hauch von Kaltem Krieg streifte mich, dort auf den Brijuni-Inseln, wo du es dir auf deine alten Tage gutgehen lässt.

Du bist jetzt weit über Fünfzig, residierst seit drei Jahrzehnten auf der Hauptinsel Veliki Brijun und sollst angeblich lachen und fluchen können wie dein früheres Herrchen, der jugoslawische Staatschef Josip Broz Tito. Der verbrachte auf den Brioni-Inseln, wie sie auf Italienisch heißen, seit den 50er Jahren ungefähr die Hälfte des Jahres. Das kann ich gut verstehen: Die Brijuni sind wirklich eine wunderschöne, dazu strategisch günstig gelegene Inselgruppe vor der istrischen Küste. Von diesem Traumort aus hielt Tito die Zügel seines Landes straff in der Hand und empfing gleichzeitig Staatschefs und Prominente. Hier wurde zur Zeit des Kalten Krieges auch die Bewegung der blockfreien Staaten mitbegründet – mit Nehru, Nasser und Tito als treibenden Kräften. Weltgeschichte! Das dürfte aber noch vor deinem Schlüpfen gewesen sein. Relikte von damals kann man auf der Insel mit ihrem, sorry, leicht morbiden Charme bis heute sehen: Im kleinen Zoo lebt die alte Elefantendame Lanka, ein Mitbringsel von Indira Gandhi. Ebenfalls ein Senior ist Titos dunkelgrüner Cadillac Eldorado von 1953. Siehst du ihn manchmal an deiner Voliere vorbeifahren? Man kann ihn nämlich für 400 Euro eine halbe Stunde lang ausleihen. Würde mich interessieren, ob das jemals jemand macht.

Nun ist Tito schon 35 Jahre tot und du sitzt da immer noch, du alter Kakadu, als Altstar des Istrien-Tourismus. In einem kleinen Museum nicht weit von deiner Voliere hat man Fotos aus Jahrzehnten zusammengetragen. Ausdrücklich als Zeitzeugnis und nicht als Kultstätte für den Diktator. Sie zeigen den lächelnden Tito mit Leonid Breschnjew, Richard Nixon, Willy Brandt, Ho Chi Minh, Nehru, Liz Taylor, Richard Burton…  Alle waren da, genossen die Sonne und tanzten vielleicht auch ein wenig auf dem Vulkan. Kalter Krieg, Spaltung Europas, Blockbildung: So lang ist das doch eigentlich nicht her. Und doch haben viele von denen, die aktuell gegen Europa und die Reisefreiheit wettern, offenbar ausgeblendet, wie das war, als man an jeder Landesgrenze warten und seine Papiere vorzeigen musste. Als es in Europa noch Diktatoren gab, die sich großer Popularität erfreuten.

Skulptur aus den 50er Jahren (Brijuni-Inseln)
Zur Vorbereitung dieses Briefes habe ich natürlich ein wenig recherchiert. Dabei bin ich auf einen Artikel aus der ZEIT von 1987 gestoßen. (Er ist älter als das Internet!) Unter der Überschrift „Jugoslawien: Auf Titos Insel“ berichtet die Autorin, dass sieben Jahre nach Titos Tod die „zauberhafte Inselgruppe“ nun auch für Deutsche Urlauber angeboten werde. Zu Titos Zeiten waren die Brijuni selbstredend militärisches Sperrgebiet gewesen. Die Villa Brionka, einst Titos Residenz, sei immer noch streng abgeschirmt und bewacht. 1987! Koki, da warst du im besten Alter, oder? Hättest du damals gedacht, dass es mit unbeschwertem Reisen nach Jugoslawien schon vier Jahre danach vorbei sein und ein blutiger Bürgerkrieg das Land erschüttern und  würde? Das Brioni-Abkommen von 1991, der vergebliche Versuch einer friedlichen Regelung des Jugoslawien-Konflikts, muss doch quasi unter deinen scharfen Knopfaugen unterzeichnet worden sein. Hattest du eine Gänsehaut oder passiert das Kakadus nicht?

Die Villa Brionka ist ja jetzt die Sommerresidenz der kroatischen Präsidentin – und immer noch streng bewacht. Ich nehme an, dass ab und an Staatsmänner und -frauen vorbeischauen. Bestimmt machen sie dann auch an deiner Voliere Halt, um ein wenig mit dir über vergangene Zeiten zu plaudern. Sag ihnen, dass Krieg – ob Bürgerkrieg, Kalter Krieg, Heiliger Krieg oder Atomkrieg – eine wirklich doofe Idee ist. Manche von ihnen haben das in letzter Zeit offenbar vergessen. Hoffentlich können sie Kroatisch.

Beste Grüße an die sonnige Adria!


Mehr über Tito erfahrt ihr in der neuen Biografie von Jože Pirjevec: „Tito. Die Biografie“. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Kunstmann, München. 720 S., 39,95 €. Ich habe sie selbst noch nicht gelesen, nur die vielversprechende Rezension in der Zeitung Die Welt („Wie konnte ein Diktator nur so beliebt sein?“).


Bubbleescape_Blogparade_Banner_300x1571Dieser Artikel ist mein Beitrag zu Sarah Marias Blogparade #bubbleescape.